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Vestibularsyndromn

 

 

Das Vestibularsyndrom oder: Schlaganfall oder doch nicht?

 

Heute möchte ich mich dem Vestibularsyndrom (oder auch Vestibulärsyndrom) widmen. Das erste Mal habe ich diese Krankheit während meiner Ausbildung kennengelernt, und auch wenn mir diese zu diesem Zeitpunkt unbekannt war, so musste ich schnell feststellen, dass es eine Krankheit ist, die offenbar weitaus häufiger auftritt, als ich mir vorstellen konnte. Gerade aus diesem Grund möchte ich an dieser Stelle ein wenig näher darauf eingehen, denn auch hier ist eine gezielte Physiotherapie sinnvoll. Bevor ich aber mal wieder das Pferd von hinten aufzäume, fange ich wohl besser einmal von vorne an :D. Was ist das Vestibularsyndrom?

 

Das Vestibularsyndrom ist eine Erkrankung des Gleichgewichtsorgans (Vestibularorgan). Der Sitz des Gleichgewichtsorgans ist das Innenohr siehe Link:

 

[https://www.tierfreunde.bayer.de/static/media/images/upload/anatomie/anatomie_ohr_gross.jpg].

 

Die Aufgabe des Vestibularorgans besteht darin, dem Gehirn die Position des Körpers im dreidimensionalen Raum zu übermitteln. Anhand der übermittelten Informationen des Raumes werden dann die Bewegungen des Körpers abgestimmt - es erfolgt die räumliche Orientierung und die Bewegung des Körpers. Ist diese Orientierung gestört - beispielsweise durch eine Erkrankung des Innenohrs - kann das Gehirn die Bewegungen des Körpers nicht mehr im Raum koordinieren, der Körper gerät also buchstäblich aus dem Gleichgewicht (ähnlich der Seekrankheit, hier versucht der Körper durch das Gleichgewichtsorgan die Wellenbewegungen auszugleichen, auch noch, wenn man sich wieder an Land befindet).

 

Gibt es Unterschiede bei dem Vestibularsyndrom?
Generell wird zwischen einem idiopathischen und einem geriatrischen Vestibularsyndrom unterscheiden: Geritatrisch bedeutet die Geriatrie betreffend, also Krankheiten des älteren Tieres, den älteren Patienten betreffend, einfach altersbedingt. Als idiopathische Erkrankungen werden Krankheiten mit nicht bekannter Ursache bezeichnet, bei denen das Symptom selbst die Krankheit darstellt, und nicht auf eine Kette von Körpervorgängen, die in ihrer Gesamtheit zu einer Krankheit führen, zurückgeführt werden können. Das Vestibularsyndrom kann also nicht nur ältere Tiere, sondern auch jüngere Generationen betreffen!

 

Derzeit existieren lediglich Theorien über die Entstehung des Vestibulärsyndroms, weshalb häufig – auch bei älteren Tieren – eher die Bezeichnung „idiopathisch“ verwendet wird. Schlaganfall oder doch Vestibularsyndrom?

 

Das Vestibularsyndrom wird häufig mit einem Schlaganfall gleichgesetzt oder verwechselt. Vielfach nutzen Tierärzte gegenüber den Patientenbesitzern den Begriff "Schlaganfall", da dies für die Patientenbesitzer einfacher nachzuvollziehen ist, denn in der Tat ähnelt die vestibuläre Störung sehr den Symptomen eines menschlichen Schlaganfalls - auch hierbei können Lähmungserscheiungen und Schwindel auftreten. Ein Schlaganfall ist jedoch ein Hirninfarkt in Folge von Durchblutungsstörungen, es kommt dabei zum Absterben von Gehirnzellen, was jedoch keinesfalls beim Vestibulärsyndrom geschieht! Hierbei geht es um eine Störung des Gleichgewichtorgans. Ein richtiger Schlaganfall kommt nur sehr selten bei unseren vierbeinigen Freunden vor, meistens ist es doch das Vestibularsyndrom Das Vestibulärsyndrom tritt plötzlich und ohne Vorwarnungen auf. Der eben noch völlig normal erscheinende Hund fällt plötzlich ohne erkennbare Ursache um, und kann sich nicht mehr aus alleiniger Kraftanstrengung heraus aufrichten, oder fängt an sich im Kreis zu drehen.
Woran erkennt man das Vestibulärsyndrom, bzw. welche möglichen Symptome können auftreten?

 

- Kopfschiefstand
- Veränderung im Spannungszustand eines Muskels oder einer Muskelgruppe
- Lähmungen von einer oder mehreren Gliedmaßen
- Desorientiertheit und/oder Bewusstseinstrübungen
- Gangauffälligkeiten, zB. Ataxie, Umfallen, Anlehnen an Wände/Gegenstände, Kreislaufen oder Driften (Schwankungen wie bei einem Betrunkenen)
- Auffälligkeiten in Haltungs- und Stellreaktionen (weit auseinander stehende Gliedmaße, verzögerter Stellreflex)
- vorübergehender Nystagmus (schnelle, ruckartige Bewegungen der Augäpfel), aber auch
- Strabismus (Schielen)
Bedingt durch die Gleichgewichtsstörungen können auch folgende Symptome auftreten:
- Speicheln
- Erbrechen/Übelkeit
- Nahrungsverweigerung

 

Sämtliche o. a. Symptome können alleine, oder in verschiedenen Kombinationen, erscheinen. Jedoch treten normalerweise der Nystagmus, die Desorientiertheit, der anfängliche Kopfschiefstand, und die Schwankungen beim Gehen, gemeinsam auf. Wie erfolgt die Diagnose beim Tierarzt und welche Therapiemöglichkeiten gibt es?

 

Die Diagnose erfolgt beim Tierarzt durch die o. g. Symptome bzw. über das Ausschlussverfahren. Schwerwiegende Ohrenentzündungen, Fremdkörper in den Gehörgängen, Tumore, Infektionskrankheiten wie beispielsweise Toxoplasmose, oder auch Viruserkrankungen, zB Staupe, müssen als Krankheitsursache ausgeschlossen werden. Nach Feststellung des Vestibulärsyndroms kann in schweren Fällen eine Infusionstherapie mit durchblutungsfördernden Mitteln durch den Tierarzt hilfreich sein. Diese verbessert die Kreislauf- und Gehirndurchblutungssituation – meist erfolgt dies in stationärer Behandlung. Bei weniger schweren Fällen kann mit Medikamenten Erbrechen und Übelkeit gestoppt, und mit durchblutungsfördernden Mitteln und Vitaminen die gesamte körperliche Situation etwas verbessert werden, so dass sich der Hund in häuslicher Pflege weiter erholen kann. Hilfreich können zudem homöopathische Mittel und Vitamingaben sein, welche die Zellteilung und Blutbildung unterstützen, und somit die Durchblutung im Kopf verbessern. Grundsätzlich gibt es dadurch, dass die Ursachen nicht bekannt sind, keine ideale Therapie. Man kann nur versuchen die Symptome wie Erbrechen und Übelkeit durch Medikamentengaben zu reduzieren bzw. dass sich der Schwindel wieder aufhebt. Warum auch noch Physiotherapie?

 

Kopfschiefstellungen, Paresen (Lähmungen) oder Stand- bzw. Gangabnormalitäten können durch eine gezielte Physiotherapie verbessert werden, ebenso die räumliche Orientierung. Gangbildschulungen und Koordinationstraining, welche dem Hund helfen sich seines Körpers, und damit seiner Stellung im Raum, bewusst zu machen, sind eine große Unterstützung im Heilungsprozess. Zudem kennt es jeder von sich selber: wenn ein Schwindelgefühl auftritt, bewegt man sich nicht mehr gerne. Jedoch kann dies, wenn es einen längeren Zeitrahmen betrifft, zu Muskelabbau führen - auch hier beugt die Physiotherapie vor. Auch wenn es manchmal scheint, dass eine Physiotherapie für Hunde nicht sinnvoll ist, da die Problematik eigentlich an ganz anderer Stelle sitzt, ist es auf jeden Fall sinnvoll einen Therapeuten aufzusuchen, wenn der Körperbau oder -stand betroffen ist, denn dieser kann die Situation vor Ort beurteilen, und entsprechende Pläne erstellen oder Hinweise geben. Ich wünsche euch allen einen schönen Welthundetag und hoffe, dass ihr auch wieder bei meinem nächsten Beitrag fleißig mitlesen werdet :).

 

Herzliche Grüße und ein fröhliches Wuff an eure Fellnasen,
Stefanie Böcker

 

(In Gedenken an Timmy, der mir das Vestibularsyndrom während meiner Ausbildung näher gebracht hat. Trotz seines hohen Alters hat er hervorragend auf die Physiotherapie reagiert, und konnte so seine letzte Zeit noch ohne viel Probleme verbringen. Auf dem Foto ist sehr gut erkennbar, wie er versucht das Schwindelgefühl durch die Breitstellung der Beine auszugleichen. Timmy: Ich werde Dich nie vergessen, denn Du warst eine großartige Persönlichkeit mit riesigem Herz <3)